Interview Herr Rieck (29. November 2016)

Holger Rieck: Ich habe die Schüler bis jetzt gelobt, aber was mir jetzt einfällt, was mir nicht so sehr gefällt ist der Einsatz für den Sportunterricht. Obwohl ich eure Turnhalle nicht optimal finde, denke ich, dass wer Sport treiben will, der tut das, wo auch immer. Manchmal gucke ich, wie viele Leute sich unter irgendeinem Grund dem Unterricht entziehen. Als ich in Cali (Kolumbien) meinen Posten übernommen habe, wollte ich mal gucken, was bei denen so im Sport läuft. Und dann sehe ich einen Sportlehrer, der sich anstrengt, die letzten Mädchen zum Laufen zu motivieren. Sie sollten nur ein Mal das Stadion umlaufen. 400m. 50m sind sie gelaufen, dann haben sie sich umgeguckt – „schaut der Lehrer noch zu?“ – und sind dann gegangen. Ich habe mir dann irgendein Mädchen geschnappt, ich hatte kein Sportzeug an, und habe sie gefragt: „Du weißt, wie alt ich bin?“ – „Nö, aber Sie sehen ziemlich alt aus“ – „Ich werde jetzt, so alt ich bin, eine Runde um das Stadion laufen und du hältst jetzt mit mir Stand.“. Als wir dann die letzten Gehenden dann überholt haben, dann liefen plötzlich alle. Innerhalb von 4 Jahren hatten wir es geschafft, mit einer eher unsportlichen Schule den zweiten Platz im Wettkampf der kolumbianischen deutschen Schulen zu gewinnen.
Felicia N.: Glauben Sie, dass der Weg wichtiger ist, als das Ziel? Oder umgekehrt?
Holger Rieck.: Beides. Es gehört zusammen. Manch einer sagt: „Sich auf dem Weg zu begeben, wäre schon wichtig, ohne dass man das Ziel kennt.“. Aber ich glaube, dass es heutzutage wichtiger ist, ein Ziel zu haben, sich die, so zu sagen, Teilziele bekannt zu machen und dann den Weg dahin zu finden. Ich glaube das ist kreativer, als einfach loszulaufen. Ich stelle es mir das so vor, du bist in der Antarktis, stehst mitten in einem Eisfeld ohne irgendein Hilfsmittel [Alex N.: Kein Casio, kein GTR, kein WTR? Felicia N.: Keine Formelsammlung?] – Welchen Weg gehst du lang? Dann ist natürlich für dich das Ziel „Ich muss überleben“. Du musst also nicht denken, wohin du jetzt gehen musst, sondern wie du überlebst, an dem Ort, wo du dich gerade befindest. Weil das ist immer erstmal das entscheidende. Dann denkst du nach, „was ist jetzt mein nächstes Ziel?“. Also ich glaube es gehört immer dazu, ein Ziel zu haben, damit man den Weg dahin überhaupt finden kann. Die Leute in der Geschichte die einfach losgegangen sind, sind umgekommen.
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